Critical Thinking

Critical Thinking 
Seite befindet sich noch im Aufbau
Critical Thinking entspringt der amerikanischen Bildungsphilosophie (Dewey) und bezieht sich auf das eigenständige Urteil, das den aktiven Bürger, die aktive Bürgerin in einer Demokratie auszeichnet. Den Begriff prägte Edward Maynard Glaser mit seiner Dissertation aus dem Jahre 1941. Darin definierte er Critical Thinking als: Haltung, Wissen und Fähigkeit, um Angelegenheiten in "a thoughtful way" (mit Bedacht) anzugehen.

Kritisch oder Kritik wird heute in einem offensiven Sinne verstanden, meist mit einer negativen Bedeutung. Der griechische Wortstamm trägt die Bedeutung "zum Urteilen oder Richten fähig" und zielt auf eine geschulte Urteilsfähigkeit.


Inzwischen gibt es zahlreiche Anleitungen zum Critical Thinking. Ich habe hier zwei spezifische Einstiege gewählt, der erste setzt beim wissenschaftlichen Schreiben an (Befund - Bewertung - Begründung), der zweite beim durchaus alltäglichen Umgang mit Daten (Upstream-Analyse).

YouTube-Reihe zum Critical Thinking
Critical Thinking 1/5, ein Warnhinweis!
Critical Thinking heißt selber denken. Critical Thinking ist nicht immer ratsam: es untergräbt Vertrauen, es ist selten effektiv, und es benötigt hohen kognitiven Workload.
Critical Thinking 2/5, Denken braucht Zeit.
Wenn wir Critical Thinking an Hochschulen umsetzen wollen, sollten wir Curricula entrümpeln, um in Lehrveranstaltungen Zeit einzuräumen.
Critical Thinking 3/5, wozu Hochschulen? Denn selber denken können wir selber. Die Wissenschaft hat Formen wissenschaftlichen Vorgehens entwickelt. Wir können uns diese an Hochschulen aneignen - und selber nutzen.
Critical Thinking 4/5, den Daten auf den Grund gehen.Die Upstream-Analyse: ich zeige einen Weg, um Daten "stromaufwärts" zurückverfolgen. Zu Critical Thinking gehört auch, Daten verstehen zu wollen.
Critical Thinking 5/5, auf Augenhöhe. Hochschule ist Erwachsenenbildung, Studierende sind keine Kinder. Critical Thinking sollte wechselseitigen Respekt vor der Entscheidungsfähigkeit vermitteln.
Damit ist meine Critical-Thinking-Reihe vorläufig abgeschlossen.
Critical Thinking: Zusammenspiel von Befund, Bewertung und Begründung
1. Trenne Befund und Bewertung!

Trenne Befund (was habe ich genau herausgefunden) und Bewertung (wie beurteile ich den Befund)! Die Fachkolleg/innen wollen und können den Befund selber beurteilen und werden Ihre/Deine Bewertung gerne zur Kenntnis nehmen.


Befund: Gibt es Daten? Daten sind die Form, mit der wir ein Phänomen unserer Welt erfassen (ein Bild, Zahlen, eine Beschreibung etc.).

Bewertung: Die Bewertung interpretiert den Befund im Lichte eines Erkenntnisinteresses. Das kann Ihr/Dein eigenes Interesse sein, oder aber ein uns noch unbekanntes Erkenntnisinteresse. Um dieses besser zu verstehen, können wir z.B. fragen: Was sind die Kriterien der Bewertung? Wie besteht Anschluss an die Wissenschaft?

Zur Erläuterung: In der Wissenschaft sind Sie auf die Urteile von Kolleg/innen angewiesen. Denn Wahrheit ist nicht leicht zu finden. Zudem: Wissenschaft ist ein Gemeinschaftsprojekt, das schon über 2000 Jahre alt ist. Egal was Sie forschen, Sie haben es immer mit einem schon bestehenden Forschungsstand zu tun. Einiges davon kennen Ihre Kolleg/innen besser als Sie .
2. Nachvollziehbare Begründungen!

Begründungen
können sich auf Befunde beziehen (z.B. "Zu viele alte Menschen müssen alleine leben") und können Bewertungen enthalten (z.B. "Kein Mensch sollte allein sein müssen"). Begründungen können sich auch auf andere Begründungen beziehen. Theorien sind Begründungszusammenhänge.

Begründungen sollten nachvollziehbar sein! So stellen Sie sicher, dass Betreuer/innen oder Kolleg/innen Sie richtig verstehen.

Zur Erläuterung: Heutzutage kommen wir selbst im Alltag kaum ohne Begründungen aus (Warum tust du das? Warum soll das unsere Aufgabe sein? etc.). Begründungen können mehr oder weniger stimmig sein. In der professionellen Praxis benötigen wir zunehmend Systeme begründeter Bewertung (Evaluationen, Performance-Measures, Tests, Prüfschemata etc.).


Wie Sie Begründungszusammenhänge überprüfen können: Oft lesen wir Texte, in denen der Begründungszusammenhang explizit markiert wird, z.B. mit "also" und "folglich" oder "denn" und "weil". In vielen Fällen handelt es sich um Füllwörter. Test: Streichen Sie das Wort und prüfen, ob der Text noch immer einen sinnvollen Zusammenhang darstellt. Wenn ja, ist die Begründung nachvollziehbar. Wenn nein, wird der Begründungszusammenhang (erst mal) nur behauptet. Wie Sie Texte mit nachvollziehbaren Begründungen verfassen können, erfahren Sie im YouTube-Video "Wörter – Sätze – Absätze" (Teil Absätze)
Critical Thinking: Upstream-Analyse der Datenproduktion
Unser Leben scheint heute von Daten bestimmt zu sein, seien dies Blutwerte oder Arbeitslosenzahlen. Viele Menschen nehmen Daten als absolut an. Wer einmal selber eine Datenerhebung konzipiert und durchgeführt hat, versteht, wie viele Vor-Entscheidungen damit verbunden sind. Daten hängen davon ab, wie man was messen kann/will. In den Daten verstecken sich Interesssen und Messannahmen.
Um den Weg der Datenproduktion zu erhellen, können Sie eine Upstream-Analyse durchführen (Rückwärtsverfolgung der Datenerstellung, sozusagen "stromaufwärts").
Vereinfachter Ansatz 

Wenn Sie keine Zeit oder keine Möglichkeiten für eine vollständige Upstream-Analyse haben, können Sie einen vereinfachten Ansatz wählen. Zwei Punkte sind bei Daten immer kritisch:

1. Definition: Mit welchen Definitionen arbeitete die Datenerhebung? Zum Beispiel: Wie wird Arbeitslosigkeit definiert (in Deutschland, in den USA)? Wie definiert sich ein "Tourist" in den Touristenzahlen für eine Stadt? Haben sich die Definitionen während der Datenproduktion geändert?

2. Stichprobe: Welche Fälle wurden tatsächlich erfasst? Welche Fälle wurden nachträglich ausgeschlossen? Warum wurden Fälle ausgeschlossen?

Daten werden meist mit impliziten Verallgemeinerungen kommuniziert, d.h. sie treffen auf ein allgemeines oder ungeklärtes Verständnis, z.B. was "Arbeitslosigkeit" oder "Tourist" bedeuten. Prüfen Sie: Entsprechen Definition und Stichprobe dem allgemeinen Verständnis?

Daten sind nicht folgenlos. Wir brauchen Daten für vernünftige Planungsentscheidungen("Aufgrund der geringen Arbeitslosigkeit sollten wir uns nun politisch um andere Fragen kümmern..."). Wir sollten uns jedoch bewusst sein, was Daten leisten können und was nicht.

Einführung: Upstream-Analyse der Datenproduktion

Die übliche Richtung der Datenproduktion verläuft "downstream" (stromabwärts) und führt vom Erkenntnisinteresse (warum will ich Daten erheben?) über die Erhebung bis hin zur Publikation der Daten.

"Upstream" bedeutet den Weg zurück ("stromaufwärts"): von den publizierten Daten zurück all zu Entscheidungen, die am Anfang der Datenerhebung standen.

Erhebungsinteresse (Fragen, Hypothesen…): Wer will warum diese Daten erheben? Wem nutzen sie? Welche Fragen werden gestellt, welche Hypothesen liegen zu Grunde?
Operationalisierung (Datenmodell): Wie sind die zu erhebenden Größen definiert? Wie wird ein Phänomen in Zahlen übersetzt? Was wird erfasst, was nicht?
Erhebung (Messung): Was wurde tatsächlich erfasst? Wie sieht die Stichprobe aus? Wie wirkten sich die Randbedingungen der Erhebung (ggf. Zeitdruck, mangelnde Technik, Geldmangel, vertragliche Vorgaben, Geheimhaltung etc.) auf die Qualität der Daten aus?
Datenbereinigen / -aufbereiten: In welcher Weise wurden die Daten bearbeitet? Wurden Fälle ausgeschlossen (warum)?
Datenweitergabe: Oft werden die Daten von dritten Institutionen oder Personen erhoben. Wurden alle Daten und Informationen zu den Daten weitergegeben? Wurde das Format der Daten bei der Weitergabe verändert?
Datenaggregation (mehrere Quellen): Wenn Daten aus mehreren Quellen zusammengefügt werden: welche Informations-Verluste traten auf, welche Kompromisse mussten gemacht werden?
Datenanalyse: Waren die Analysemethoden für die Daten angemessen?
Interpretation: Wie werden die Schlussfolgerungen begründet? Welche alternativen Schlüsse und Interpretationen sind möglich? Werden die Daten über-/unter-interpretiert?
Publizierte „Daten“ (wie wir sie erhalten): Welche Daten wurden ausgewählt? Lässt die Darstellung eine eigenständige Beurteilung durch die Leser zu? Verleitet die Darstellungsform zu Fehlschlüssen?

Share by: